Suizid: Warum wollte sie sterben?

Traurige Frau

Verhalten, das der eigenen Gesundheit schadet, scheint uns unverständlich. Warum verletzt sich jemand selbst? Oder warum greift jemand zum Äußersten und beendet sein eigenes Leben? Wir denken vielleicht an ausweglose Situationen wie eine hohe Verschuldung oder die große Einsamkeit eines Menschen, der seit vielen Jahren alleine lebt. Wir denken an radikale Lebensveränderungen wie den Tod eines Lebenspartners oder den Verlust eines Kindes. Aber was ist mit den scheinbar Glücklichen, die ein ganz normales Leben führen?

Selbstschädigendes Verhalten wird in zwei Kategorien unterteilt:

  • Parasuizidales Verhalten (Selbstverletzung) und
  • suizidales Verhalten (Selbsttötung).

Das selbstverletzende oder autoaggressive Verhalten kann in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten. Am bekanntesten ist sicherlich das sogenannte Ritzen, das Aufschneiden der Haut, das meistens an den Extremitäten vorgenommen wird. Aber es gibt auch andere Formen, bei denen sich Menschen z.B. verbrennen, schlagen oder mit Nadeln und anderen Gegenständen verletzen. Als Grund für selbstverletzendes Verhalten wird oft emotionaler Stress, Selbstbestrafung oder das Beenden von Dissoziation angegeben. Dissoziation ist ein Zustand, in dem Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken, die normalerweise gleichzeitig erlebt werden, voneinander getrennt sind. Dissoziation kann gesunde Formen haben wie die Abspaltung des Schmerzgefühls, nachdem man schwer verletzt wurde. Sie kann aber auch pathologische Formen annehmen, die sich z.B. in Gedächtnisverlust, Entfremdung vom eigenen Körper oder in einer multiplen Persönlichkeitsstörung äußern.

Die Ursachen für autoaggressives Verhalten sind genauso vielfältig wie seine Ausdrucksformen. Starke seelische Belastungen, das Vorliegen von psychischen Erkrankungen und die Bewältigung von Einsamkeit, Aggression oder Angst sind die wichtigsten Auslöser. Es ist wichtig, dass man selbstverletzendes Verhalten von suizidalem Verhalten abgrenzt, da Ersteres nie mit einer Tötungsabsicht ausgeführt wird.

Einem Suizidversuch oder auch einem vollendeten Suizid liegt hingegen in der Regel eine Tötungsabsicht zu Grunde. Im Jahr 2013 starben laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 10.076 Menschen an Selbstmord. Wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden kann, z.B. als Verkehrsunfälle oder versehentliche Überdosen getarnte Suizide. 10.076 Selbstmorde, das ist eine hohe Zahl. Zum Vergleich: In Deutschland gab es im Jahr 2013 3.339 Verkehrstote, 401 HIV-Tote und 1.002 Drogentote sowie 282 Personen, die ermordet wurden.

Bei den Suizidstatistiken muss man zudem beachten, dass die Zahl der Suizidversuche um ein Vielfaches höher liegt als die Zahl der erfolgreich durchgeführten Suizide. Man schätzt, dass auf einen Suizid etwa 20 Versuche kommen. Im Jahresverlauf zeigt sich, dass die meisten Suizide im Frühling begangen werden. Männer nehmen sich dreimal häufiger das Leben als Frauen.

Für die Erforschung von suizidalem Verhalten eignen sich vor allem Personen, die an der Borderline Persönlichkeitsstörung (BPS) leiden, da bei Ihnen mit 10% die Suizidhäufigkeit außergewöhnlich hoch ist. In der gesamtdeutschen Bevölkerung liegt die Suizidrate bei etwa 0,01%.

Klassifizierung der Borderline-Persönlichkeitstörung (BPS)

BPS wird laut DSM-IV wie folgt klassifiziert:

1. Vermutetem oder tatsächlichem Verlassenwerden wird mit starken Bemühungen entgegengewirkt.

2. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind instabil und dadurch gekennzeichnet, dass das gegenüber entweder idealisiert oder abgewertet wird. Personen können demnach nicht als Wesen mit Stärken und Schwächen wahrgenommen werden. Sie sind entweder positiv oder negativ.

3. Es liegt eine Identitätsstörung vor, die sich darin zeigt, dass das Selbstbild instabil ist.

4. Es zeigt sich Impulsivität, die grundlegend als selbstschädigend einzuschätzen ist. Diese erstreckt sich über mindestens zwei Bereiche: z.B. Substanzmissbrauch, Fresssucht oder Magersucht, aggressive Fahrweise, Sexualität und exzessives Geldausgeben.

5. Suizidale Handlungen treten wiederholt auf. Hierzu zählen auch Selbstmorddrohungen, die nicht bis zur Suizidhandlung führen.

6. Aufgrund von affektiver Instabilität zeigen sich starke Stimmungsschwankungen.

7. Chronisches Gefühl von Leere.

8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).

9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Es müssen mindestsens fünf der neun Kriterien erfüllt sein, damit eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden kann.

Bei einer Studie an der Universität von Washington wurden 75 weibliche Studienteilnehmer mit Borderline-Persönlichkeitsstörung zu ihren parasuizidalen und suizidalen Handlungen befragt. Dabei wurde sichergestellt, dass keine der Frauen an einer bipolaren oder psychotischen Störung litt. 82% erfüllten die Kriterien für eine Depression, 76% für eine Angststörung und 27% die Kriterien für Substanzmissbrauch. Es wurden in verschiedenen Interviews alle parasuizidalen und suizidalen Handlungen des vergangenen Jahres und die dazugehörigen Beweggründe erfasst.

52% der Frauen hatten im vergangenen Jahr sowohl Suizidversuche als auch nichtsuizidale Verletzungen unternommen, 32% hatten nur selbstverletzendes Verhalten und 16% ausschließlich Suizidversuche ausgeführt. Selbstverletzung und Suizidalität gehen also nicht immer miteinander einher. Frauen, die zu Suizidversuchen neigten, zeigten eher Kriterien einer Angststörung als jene, die nur Selbstverletzungen unternahmen. Für einen Suizidversuch griffen fast alle Frauen zu einer Medikamentenüberdosis. Selbstverletzungen wurden hingegen in der Mehrzahl mit Schnitten verübt. Die Methoden, die für einen Selbstmordversuch ergriffen wurden, waren also eindeutig weitaus gesundheitsschädlicher als die Selbstverletzungen. Diese hinterließen höchstens Narben, aber keine bleibenden Organschäden. Das Gesundheitsrisiko, das in Kauf genommen wurde, war zwischen den beiden Gruppen demnach sehr unterschiedlich.

Für Selbstverletzungen wurden als Gründe z.B. Ausdruck von Ärger, Selbstbestrafung und Ablenkung genannt. Als Grund für einen Suizid wurde am häufigsten angebracht, dass andere ohne sie besser dran seien.

Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen anderer Studien. Der am häufigsten genannte Grund für Selbstmordversuche ist Flucht oder Befreiung von einer Extremsituation, die intensiven Stress bereitet. Suizidversuche folgen zudem oftmals dem Wunsch, anderen nicht weiter zur Last zu fallen, wohingegen der Parasuizid eher zum Spannungsabbau und aufgrund von Ärger gegenüber anderen genutzt wird. Selbstverletzende Verhaltensweisen stellen eine lediglich temporäre Flucht dar.

Dass über 70% der erfolgten Suizide in Deutschland von Männern durchgeführt wird, kann einerseits darauf zurückgeführt werden, dass Männer eher zu Mitteln greifen, die einen schnellen und sicheren Tod herbeiführen (Waffen, Erhängen u.ä.). Wobei sicherlich auch die Rolle, die den Männern in unserer Gesellschaft zukommt, einen Einfluss darauf hat, dass sie eher zu einem Suizid greifen.

Wenn man Angst hat, dass ein Mensch aus dem eigenen Umfeld suizidgefährdet sein könnte, sollte man auf klassische Signale achten: Betroffene beschäftigen sich viel mit dem Tod und durchlaufen dabei die drei Phasen Todessehnsucht, Todesgedanken und Todesplanung. Die Betroffenen kündigen ihren Versuch oftmals an und fallen durch die eigene Vernachlässigung, übermäßigen Alkoholkonsum u.ä. auf. In jedem Fall sollte man psychologischen Rat einholen oder eine Beratungsstelle konsultieren, um dem Betroffenen helfen zu können.

Man sollte eine Suiziddrohung immer ernst nehmen: Alle 52 Minuten stirbt jemand in Deutschland durch Suizid, etwa alle 3 Minuten wird ein Selbstmordversuch begangen.

Quellen:

Brown, Milton Z.; Comtois, Katherine Anne; Linehan, Marsha M. (2002): Reasons for Suicide Attempts and Nonsuicidal Self-Injury in Women With Borderline Personality Disorder. In: Journal of Abnormal Psychology (111), S. 198-202.

Sass, Henning (op. 2003): Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen, DSM-IV-TR. 4. Aufl. Göttingen [etc.]: Hogrefe Verl. für Psychologie.

Statistisches Bundesamt, www.destatis.de, 2014.

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